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Datensparsamkeit dient nicht nur dem Schutz der Grundrechte, sondern bietet auch Wettbewerbsvorteile

Immer wieder stellen Politiker das Prinzip der Datensparsamkeit in Frage. Das wissenschaftliche Expertengremium „Forum Privatheit“ räumt in seinem neuesten Policy Paper mit einigen Missverständnissen auf und erklärt, warum Datensparsamkeit unions- und verfassungsrechtlich geboten ist und wie sie Wettbewerbsvorteile sichern kann.

Auch wenn einige Politiker Datensparsamkeit für überholt halten, weil sie ein Hemmnis des Fortschritts sei und daher vehement fordern, sich vom Minimierungsgebot von Daten zu verabschieden, vertritt der „Forum Privatheit“-Sprecher  und Rechtswissenschaftler der Universität Kassel Prof. Dr. Alexander Roßnagel eine andere Position: „Diese Aussagen verkennen den Inhalt des Gebots der Datensparsamkeit und bedürfen der sachlichen und differenzierten Betrachtung. Das Prinzip der Datensparsamkeit zielt gar nicht auf die Menge der Daten an sich, sondern ausschließlich auf ihren Personenbezug.“

Der Personenbezug kann mit geeigneten Verfahren vermieden werden

Datensparsamkeit steht somit nicht im Widerspruch zur Verarbeitung vieler Daten. Sie greift nur bei Daten, die sich auf einzelne natürliche Personen beziehen lassen. „Mit der Zielsetzung des Persönlichkeitsschutzes ist das Prinzip der Datensparsamkeit dann erfüllt, wenn der Personenbezug von Daten vermieden wird. Das bedeutet: Von den Daten kann nicht auf eine bestimmte natürliche Person geschlossen werden. Diese Anforderung lässt sich mit Methoden der Aggregation und Anonymisierung oder mit geeigneten Verfahren der Pseudonymisierung erfüllen“, erklärt Marit Hansen, die Landesbeauftragte für Datenschutz Schleswig-Holstein und Mitglied des „Forum Privatheit“.

Das Prinzip der Datensparsamkeit wurde gerade durch die neuesten Datenschutzregeln der Europäischen Union bestätigt: Sowohl die europäische Datenschutz-Grundverordnung als auch die Richtlinie für den Datenschutz bei Polizei und Justiz, die beide ab Mai 2018 in den Mitgliedstaaten gelten bzw. von diesem umgesetzt sein müssen, enthalten die Forderung nach Minimierung der personenbezogenen Daten.

„Datensparsamkeit ist sowohl durch das Grundrecht auf Datenschutz der Grundrechtecharta der Europäischen Union geboten als auch durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vom Grundgesetz gefordert. Sie aufzugeben, hieße gegen das deutsche Grundgesetz und die europäische Grundrechtecharta zu verstoßen“, warnt Roßnagel.

Smart ist gefragt

Der Grundsatz der Datensparsamkeit ist für viele Innovationen, die auf der Auswertung großer Mengen von Daten beruhen, gar nicht hinderlich. Er beschränkt die Datenverarbeitung nicht, soweit Daten verarbeitet werden, die nicht personenbezogen sind. Smart Data, die aus Unternehmen oder Behörden, die aus Maschinen oder Infrastrukturen stammen, die naturwissenschaftliche Phänomene abbilden, die meteorologische oder geographische Zusammenhänge erfassen oder die sonstige – nicht einer bestimmten natürlichen Person zugeordnete – Angaben enthalten, können nicht gegen den Grundsatz der Datensparsamkeit verstoßen. Dies gilt sogar für – ansonsten sehr sensitive – medizinische oder epidemiologische Daten über Krankheitsursachen, -verläufe oder -behandlungen. Kein Verstoß entsteht z.B. auch bei Beobachtungen des Verkehrsgeschehens und der gesellschaftlichen Mobilität. Aber auch der Umgang mit personenbezogenen Daten ist mit dem Grundsatz vereinbar, wenn sie vor ihrer weiteren Verarbeitung aggregiert, anonymisiert oder mit geeigneten Verfahren pseudonymisiert worden sind.

Ein Widerspruch zum Gebot der Datensparsamkeit kann nur dann entstehen, wenn personen-bezogene Daten erhoben, gesammelt und bezogen auf eine ganz bestimmte Person ausgewertet werden. Dies ist dann kein Problem, wenn die betroffene Person informiert, freiwillig und selbstbestimmt eine auf sie zugeschnittene Dienstleistung in Anspruch nimmt, die die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten erfordert. Dies verstößt jedoch gegen den Grundsatz der Datensparsamkeit, wenn die Datenverarbeitung – ohne dass dies funktional erforderlich ist oder von der betroffenen Person ausdrücklich gebilligt wurde – zum Ziel hat, ihr Verhalten zu beobachten, vorherzusagen und zu beeinflussen. In diesen Fällen greift diese Datenverarbeitung in die Grundrechte der jeweils betroffenen Person ein.

Wettbewerbsvorteil durch Vertrauensvorsprung

Eindeutig erkennbare Datensparsamkeit kann jedoch für Unternehmen Vorteile bringen, wenn sie dadurch das Vertrauen in die Fairness ihrer Dienstleistungen erhöhen können. „Dies kann auch das Verhalten der Nutzenden in der Online-Kommunikation positiv beeinflussen. Mit dem Wissen, dass ihre Nachrichten oder Beiträge nicht mit ihrer Person in Verbindung gebracht werden, dürften Nutzende eher bereit sein, z.B. an Online-Diskursen im Rahmen politischer oder gesellschaftlicher Debatten teilzunehmen“, erklärt der Sozialpsychologe Dr. German Neubaum, Universität Duisburg-Essen und Mitglied des „Forum Privatheit“.

Negative Effekte hätte die konsequente Umsetzung der Forderung nach Datensparsamkeit eigentlich nur für jene Unternehmen, deren Geschäftsmodell alleine darauf basiert, Dienste im Internet ohne Entgelt anzubieten und dafür alle erreichbaren Daten der Nutzenden auszuwerten, um darüber besonders hohe Werbeerlöse zu erzielen. Entscheidend ist dabei die Frage nach gleichen und damit fairen Wettbewerbsbedingungen.

Race-to-the-bottom oder Race-to-the-top?

„Eine Politik, die hinsichtlich der Datensparsamkeit für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen will, kann entweder einen Wettbewerb der Staaten unterstützen, sich gegenseitig bei ihren Datenschutzstandards zu unterbieten. Sie kann aber auch, wie einige positive Beispiele zeigen und das Verfassungsrecht der Union und Deutschlands fordern, eine Angleichung der Standards nach oben anstreben. Gerade Deutschland könnte seinen Einfluss nutzen und höhere Datenschutzstandards zunächst innerhalb der Europäischen Union durchsetzen und auch auf dem internationalen Parkett, etwa im Rahmen der Vereinten Nationen und des Europarats, stärker für deren globale oder regionale Verbreitung eintreten“ , fasst das Forum-Privatheit-Mitglied Prof. Dr. Thomas Hess, Wirtschaftsinformatiker an der Ludwigs-Maximilians-Universität München zusammen.

Das Policy Paper „Datensparsamkeit“ bietet grundlegende Informationen über das Prinzip der Datensparsamkeit und diskutiert dessen Inhalt, Grundlagen, Vor- und Nachteile.


Im vom BMBF geförderten Forum Privatheit setzen sich Expertinnen und Experten aus sieben wissenschaftlichen Institutionen interdisziplinär mit Fragestellungen zum Schutz der Privatheit auseinander. Das Projekt wird vom Fraunhofer ISI koordiniert, Partner sind das Fraunhofer SIT, die Universität Duisburg-Essen, das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein.

Sprecher des Forums Privatheit:

Prof. Dr. Alexander Roßnagel
Universität Kassel
Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)
Forschungszentrum für interdisziplinäre Technik-Gestaltung (ITeG)
Tel: 0561/804-3130 oder 2874
E-Mail: a.rossnagel@uni-kassel.de

Projektkoordination Forum Privatheit:

Dr. Michael Friedewald

Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Competence Center Neue Technologien
Tel.: 0721 6809-146
E-Mail: Michael.Friedewald@isi.fraunhofer.de

Presse und Kommunikation Forum Privatheit:

Barbara Ferrarese, M.A.
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Tel.: 0721 6809-678
E-Mail: presse@forum-privatheit.de

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