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Datenschutz stellt die Machtfrage – Mehr Wettbewerb ermöglichen

Presseinformation, Forum Privatheit – 02. November 2017


Am 2. und 3. November veranstaltet der BMBF-geförderte Forschungsverbund „Forum Privatheit“ im Berliner Tagungswerk seine Jahreskonferenz zum Thema „Die Fortentwicklung des Datenschutzes“. 180 Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis der verschiedensten Bereiche gehen der Frage nach, welche Schwerpunkte beim Datenschutz zu setzen sind.

Ob Gesichtserkennung beim iPhone 10 oder am Berliner Südkreuz: Datenschutz wird von einigen Teilen der Gesellschaft leidenschaftlich diskutiert – von anderen ignoriert. Um das Bewusstsein der Bevölkerung zu schärfen, wurde 2014 der Forschungsverbund „Forum Privatheit“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ins Leben gerufen – auch um zur Versachlichung der Debatte beizutragen. „Gerade in Zeiten allzu plakativer Botschaften ist ein solcher Diskurs unverzichtbar“, so Tim Schneider, Referent im Bundesministerium für Bildung und Forschung

DSGVO und BDSG geben keine geeigneten Antworten

Professor Alexander Roßnagel, Rechtswissenschaftler und Sprecher von „Forum Privatheit“ benennt die besonderen Aufgaben des Forschungsverbunds: „Es sind letztlich drei fundamentale Herausforderungen der Digitalisierung, die wir untersuchen und denen wir uns stellen müssen. Diese sind zum ersten neue Datenquellen, zum zweiten neue Infrastrukturen und zum dritten neue Datenauswertungen.“ Roßnagel bemängelt, dass diese Herausforderungen grundlegende Datenschutzprinzipien und damit die Privatheit gefährdeten. „Weder die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) noch das Bundesdatenschutzgesetz geben hier geeignete Antworten“, kritisiert Roßnagel, der an der Universität Kassel die Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet) leitet.

Datenschutz muss bereits bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden

Dr. Frank Pallas betrachtet die allesdurchdringende Vernetzung zunächst aus dem Blickwinkel des Informatikers: Eine Fitnessband etwa eröffne eine Vielzahl von Messungs-, Auswertungs- und Kommunikationsmöglichkeiten. “Ich kann mich entscheiden, ob ich in Wettbewerb mit meinen Lauffreunden trete, an einer wissenschaftlichen Studie oder an einem Bonusprogramm meiner Krankenkasse teilnehme.“ Dies sei nur ein kleiner Ausschnitt unzähliger Nutzungsmöglichkeiten. Allerdings erschwerten diese schier unendlichen Möglichkeiten den Datenschutz ungemein. „Der bisherige Datenschutz erweist sich in vielerlei Hinsicht als dysfunktional.“ Eine Möglichkeit, dieser Situation Herr zu werden, sieht Pallas im sogenannten „Datenschutz durch Technikgestaltung“ – also der frühzeitigen Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Prinzipien bei der Produktentwicklung.

Technische und rechtliche Dynamiken fallen auseinander

Auch Professor Gerrit Hornung, Rechtswissenschaftler an der Universität Kassel, beobachtet mit Sorge das „enorme Auseinanderfallen von technischen und rechtlichen Dynamiken“. Die Datenschutzgrundverordnung hat für Hornung „erheblichen Bedarf nach Präzisierungen“ geschaffen. Sein Fazit ist, dass neue Technologien datenschutzrechtlich zwar regulierbar seien, dies aber durch die DSGVO nicht in ausreichendem Maße geschehe. Diese Nichtregulierung erzeuge eine Rechtsunsicherheit, die zu Lasten von Unternehmen und Verbrauchern ginge. Die dadurch entstehende Lücke eröffne Möglichkeiten zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.

Nur mit mehr Wettbewerb ist auch mehr Datenschutz möglich

Die Bürgerrechtlerin Katharina Nocun sieht den Datenschutz massiv „unter Druck“ und identifiziert den fehlenden Wettbewerb auf Plattformmärkten als erhebliches Risiko für den Verbraucherschutz. Sie bemängelt das erhebliche Kräfteungleichgewicht und hält die Einführung von offenen Standards und die Ermöglichung von Wettbewerb für die zentralen Faktoren. „Geschäftsmodelle wie die von Facebook oder Google setzten auf Geschlossenheit ihrer Systeme, ein echter Wettbewerb sei hier nicht möglich. „Es müsse“, so die Forderung der Ökonomin, „rechtliche Vorgaben geben, die zum Wettbewerb zwingen“. Die DSGVO hat für Nocun in dieser Hinsicht „auf großer Linie versagt“. Datenschutz müsse sichtbar und erfahrbar werden: „Es sollte möglich sein, in Erfahrung zu bringen, was Anbieter mit meinen Daten gemacht haben.“ Dies könne dann auch zum echten Wettbewerbsvorteil für Anbieter werden, die den Datenschutz ernst nähmen. „Nicht jeder Verbraucher ist mit jeder Nutzung seiner Daten einverstanden und würde lieber zu Anbietern wechseln, die Datenschutz gewährleisten.“ Sie hofft auf eine Stärkung des Auskunftsrechts gegenüber Unternehmen wie Amazon. Auch wenn sie als Netzaktivistin schauen müsse, welche Kämpfe sich lohnten, ist sie der festen Überzeugung: „Datenschutz stellt die Machtfrage. Es besteht derzeit ein starkes Kräfteungleichgewicht zwischen dem einzelnen Verbraucher und Anbietern wie Google oder Facebook, die die Plattformmärkte dominieren. Daher lohnt es sich in jedem Fall, für mehr Datenschutz und für mehr Privatheit zu kämpfen.“

Im vom BMBF geförderten Forum Privatheit setzen sich Expertinnen und Experten aus sieben wissenschaftlichen Institutionen interdisziplinär mit Fragestellungen zum Schutz der Privatheit auseinander. Das Projekt wird vom Fraunhofer ISI koordiniert. Weitere Partner sind das Fraunhofer SIT, die Universität Duisburg-Essen, das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein.


Ansprechpartner/inne/n:

Sprecher „Forum Privatheit“:
Prof. Dr. Alexander Roßnagel
Universität Kassel
Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet) Forschungszentrum für interdisziplinäre Technik-Gestaltung (ITeG) Tel: 0561/804-6544 oder 2874
E-Mail: a.rossnagel@uni-kassel.de

Projektkoordination „Forum Privatheit“:
Dr. Michael Friedewald
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI Competence Center Neue Technologien
Tel.: 0721 6809-146
E-Mail: Michael.Friedewald@isi.fraunhofer.de

Presse und Kommunikation „Forum Privatheit“:
Barbara Ferrarese, M.A.
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI Tel.: 0721 6809-678
E-Mail: presse@forum-privatheit.de

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