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Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – besser als sein Ruf

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist seit dem 1. Januar 2018 wirksam. Aufgrund einiger aufsehenerregender Löschungen in Twitter und Facebook wurde heftige, zum Teil vernichtende Kritik an diesem Gesetz geübt. Das wissenschaftliche Expertengremium „Forum Privatheit“ hat die einzelnen Kritikpunkte überprüft und kommt in einem Policy Paper dem Ergebnis, dass sie weitgehend unzutreffend sind: Das NetzDG ist erheblich besser, als die Kritik ihm zubilligt. Auch wenn über Details diskutiert werden kann, ist es auf dem richtigen Weg, um gegenüber großen sozialen Netzwerken durchzusetzen, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen.

Vor allem in großen sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook gibt es zunehmend von Hass geprägte Äußerungen gegenüber Einzelnen und Minderheiten, die die strafrechtlichen Tatbestände der Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung erfüllen. Obwohl die Anbieter von Informationsplattformen bereits seit 20 Jahren dazu verpflichtet sind, solche Äußerungen zu entfernen, wenn sie konkret darauf hingewiesen werden, sind die Betreiber sozialer Netzwerke dieser Verpflichtung trotz vielfacher Forderungen aus Politik und Gesellschaft bisher gar nicht oder unzureichend nachgekommen.

Um diese rechtliche Verpflichtung besser durchzusetzen, fordert das NetzDG von den Betreibern sozialer Netzwerke mit mehr als 2 Mio. Teilnehmern in Deutschland, ein wirksames Beschwerdemanagement einzurichten und halbjährlich über ihren Umgang mit Beschwerden zu berichten. Auf eine Beschwerde hin müssen sie Inhalte, die „offensichtlich“ strafbar sind, innerhalb von 24 Stunden löschen oder sperren. Über andere strafbare Inhalte müssen sie innerhalb von sieben Tagen entscheiden. Wenn sie kein wirksames Beschwerdemanagement einrichten oder ihrer Berichtspflicht nicht genügen, droht ihnen ein Bußgeld von bis zu 50 Mio. Euro. Für eine Fehlentscheidung im Einzelfall, etwa eine unterbliebene Entfernung eines strafbaren Inhalts, sieht das NetzDG kein Bußgeld vor.

Kein Overblocking durch das NetzDG

Dennoch richtet sich die stärkste Kritik dagegen, dass das NetzDG zu einem „Overblocking“ verleite. Die Betreiber der Netzwerke würden aus Angst vor Bußgeldern gemeldete Inhalte im Zweifel lieber sperren als weiter publizieren. Die Rechtsabteilungen der Betreiber wissen jedoch genau, dass sie keine Bußgelder befürchten müssen, wenn sie im Einzelfall einen strafbaren Inhalt zu Unrecht nicht sperren. „Facebook oder Twitter reagieren nicht aus ‚Angst‘. Die wenigen spektakulären Fehlentscheidungen wurden wohl eher aus dem Interesse getroffen, die neue, für sie sehr aufwändige Regelung zur Einrichtung eines Beschwerdemanagements in Misskredit zu bringen“, vermutet der „Forum Privatheit“-Sprecher und Rechtswissenschaftler der Universität Kassel Prof. Dr. Alexander Roßnagel. „Die Kritik am ‚Overblocking‘ unterstützt dieses Interesse.“

Kein Angriff auf die Meinungsfreiheit

Das Sperren eines Beitrags in einem sozialen Netzwerk ist zwar ein Eingriff in die Meinungsfreiheit. Diese ist aber mit den Rechten des Einzelnen oder einer Gruppe abzuwägen, die durch die Äußerung verletzt werden. Wenn sie eine strafbare Schmähkritik, Formalbeleidigung oder Volksverhetzung beinhaltet, muss die Meinungsfreiheit gegenüber dem Schutz dieser Rechte zurücktreten. „Die Kritik verkennt oft, dass das NetzDG keine bestimmte Meinung verbietet. Es erleichtert lediglich, Inhalte, die nach dem Strafgesetz verboten sind und auch vor Inkrafttreten des NetzDG bereits strafbar waren, zu beseitigen“, so Roßnagel.

Keine Verlagerung staatlicher Aufgaben auf private Anbieter

Das NetzDG verlagert auch nicht staatliche Aufgaben auf private Anbieter oder gibt diesen Kompetenz zur Zensur, wie die Kritiker des NetzDG behaupten. Vielmehr ist seit 1997 jeder Anbieter einer Informationsplattform rechtlich verpflichtet, fremde Informationen mit strafbaren Inhalten zu beseitigen, wenn sie ihm angezeigt werden. Durch das NetzDG kann diese Verpflichtung nun auch tatsächlich gegenüber großen Plattformbetreibern durchgesetzt werden. Der Maßstab, was gelöscht werden muss, wird nicht von den Betreibern sozialer Netzwerke gesetzt. Maßgeblich sind allein die deutschen Strafgesetze.

Keine zu kurzen Fristen – im Gegenteil

Kritik wird auch daran geübt, dass „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu sperren sind. Diese Pflicht wird als zu streng angesehen. Sie gilt jedoch nur, wenn die Strafbarkeit von schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder eindeutigen Volksverhetzungen ohne vertiefte Prüfung zu erkennen ist. Dann ist eine Reaktion innerhalb von 24 Stunden zumutbar. Im Zweifel, so die Gesetzesbegründung, ist davon auszugehen, dass die Strafbarkeit nicht „offensichtlich“ ist. Die Kritik verkennt außerdem das Schutzbedürfnis der Betroffenen, wenn sie mit offensichtlich strafbaren Inhalten angegriffen werden. „Aus psychologischer Sicht ist diese Frist sogar noch viel zu lang, um die Fehlinformationen aus der Welt zu schaffen. Es ist empirisch nachgewiesen, dass auch Informationen, die sich später als falsch oder fehlerhaft erweisen, nicht vergessen oder im Gedächtnis mit der korrekten Information überschrieben werden“, gibt die Psychologieprofessorin Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen ebenfalls Mitglied des Expertengremiums „Forum Privatheit“ zu bedenken. „Außerdem orientieren sich nachfolgende Beiträge am Tenor der Debatte, so dass ein rechtswidriger Inhalt mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Postings mit ähnlichem Muster nach sich zieht. Besser wäre es daher, die Betreiber der Netzwerke bei Vorliegen von ‚offensichtlich‘ rechtswidrigen Inhalten zu verpflichten, unmittelbar nach Eingang der Beschwerde zu prüfen, zu entscheiden und zu handeln.“

Wichtiger Schritt zur Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten

„Das NetzDG ist ein wichtiger Schritt zu einer effektiven Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten und der Gefährdung öffentlicher demokratischer Diskussion. Es zwingt nun auch die Betreiber großer sozialer Netzwerke, ihrer schon immer bestehenden und bisher vernachlässigten gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen“, so Roßnagel. „Das Gesetz ermöglicht den Opfern von aggressiven Beschimpfungen, Abwertungen oder Verleumdungen eine kostenlose und vergleichsweise schnelle Durchsetzung ihrer Rechte – ohne Rechtsanwälte, Gebühren und Kosten“.

Kapazitäten schaffen, um das Gesetz zu vollziehen

Nach den Untersuchungen des „Forum Privatheit“ sind Nachbesserungen des Gesetzes notwendig, um den Schutz von Autoren zu verbessern, deren Beiträge zu Unrecht blockiert werden. Verbessert werden müssen auch die zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen und der einstweilige Rechtsschutz gegenüber dem Angreifer. Roßnagel stellt klar: „Es wäre jedoch ein großer Fehler, anzunehmen, dass der Staat mit dem NetzDG bereits ausreichend gegen Desinformation, Verleumdungen und diskriminierende Hetze vorgehe. Zusätzlich muss er auch die Kapazitäten schaffen, um das Gesetz tatsächlich zu vollziehen. Noch wichtiger, als die Fortsetzungen der Verletzungen zu unterbinden, ist es, die Straftäter schnellen und effektiven Strafverfahren zuzuführen.“

Das Policy Paper „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ bietet grundlegende Informationen über Inhalt und Wirkungsweise des Gesetzes sowie berechtigte und unberechtigte Kritik daran.


Im vom BMBF geförderten Forum Privatheit setzen sich Expertinnen und Experten aus sieben wissenschaftlichen Institutionen interdisziplinär mit Fragestellungen zum Schutz der Privatheit auseinander. Das Projekt wird vom Fraunhofer ISI koordiniert. Weitere Partner sind das Fraunhofer SIT, die Universität Duisburg-Essen, das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein.

 

Sprecher „Forum Privatheit“:

Prof. Dr. Alexander Roßnagel
Universität Kassel
Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)
Forschungszentrum für interdisziplinäre Technik-Gestaltung (ITeG)
Tel: 0561/804-3130 oder 2874
E-Mail: a.rossnagel@uni-kassel.de

Projektkoordination „Forum Privatheit“:

Dr. Michael Friedewald
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Competence Center Neue Technologien
Tel.: 0721 6809-146
E-Mail: Michael.Friedewald@isi.fraunhofer.de

Presse und Kommunikation „Forum Privatheit“:

Barbara Ferrarese, M.A.
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Tel.: 0721 6809-678
E-Mail: presse@forum-privatheit.de

Forum „Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt“
https://www.forum-privatheit.de/forum-privatheit-de/index.php
Twitter: @ForumPrivatheit

Rechtsexperten des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ sehen Chance für mehr Datenschutz und Rechtssicherheit

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben die Möglichkeit, durch die Nutzung von Öffnungsklauseln Versäumnisse und Schwachstellen der EU-Datenschutz-Grundverordnung auszugleichen. Dadurch können sie das Datenschutzniveau sowie die Rechtssicherheit im eigenen Land erhöhen und stärken. Rechtsexperten des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ diskutieren auf der internationalen Datenschutzkonferenz CPDP in Brüssel, wie dies gelingen kann.

Die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union (EU-DSGVO), die ab dem 25. Mai 2018 angewendet werden muss, stellt das Datenschutzrecht innerhalb der Europäischen Union auf eine neue Grundlage. Die Reform verfolgte drei große Ziele: eine unionsweite Vereinheitlichung, eine Wettbewerbsangleichung sowie eine Modernisierung des Datenschutzrechts.

„Doch die Datenschutz-Grundverordnung erreicht ihre selbstgesteckten Ziele nicht“, konstatiert der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Sprecher des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“. Sie sei „abstrakt und unterkomplex“ ausgefallen, denn sie wolle in nur 51 Artikeln dieselben Probleme lösen, für die in Deutschland bislang tausende bereichsspezifische Vorschriften bestehen. Zurückführen lässt sich dies ist auf den Entstehungsprozess der Verordnung: Die Europäische Kommission wollte mittels Durchführungsakten und delegierter Rechtsakte selbst über die konkretere Ausgestaltung des europäischen Datenschutzes entscheiden. Gegen diese Vorstellung stellten sich das EU-Parlament und die EU-Mitgliedstaaten. Letztere setzten am Ende durch, dass signifikanter Regelungsspielraum auf nationaler Ebene verbleibt. Etabliert wurde damit eine Ko-Regulierung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten.

Mitgliedstaaten sollten die Risiken moderner Datenverarbeitung konkret regeln

Mit Spannung wird nun erwartet, ob und wie die Mitgliedstaaten die ihnen zur Verfügung stehenden Regelungsspielräume nutzen werden. Deutschland und Österreich haben als erste Staaten bereits Gesetze zur Umsetzung der Verordnung verabschiedet. Die restlichen Mitgliedstaaten müssen bis zum Geltungsbeginn der Datenschutz-Grundverordnung nachziehen. „Wichtig ist dabei, dass die Mitgliedstaaten ihre Spielräume zu einer Erhöhung des Datenschutzniveaus auch nutzen“, empfiehlt der Jurist und „Forum Privatheit“-Mitglied Dr. Christian Geminn. „Hier hat sich Deutschland mit seinem neuen Bundesdatenschutzgesetz nicht gerade vorbildhaft verhalten.“ Zudem sollten Mitgliedstaaten durch klare und konkrete Vorgaben die Rechtssicherheit erhöhen und durch spezifische Regelungen der Abstraktheit der Verordnung entgegenwirken. Diese Regelungen sollten direkt und konkret die Risiken moderner Datenverarbeitung adressieren. „Das ist ganz zentral, um das Datenschutzrecht tatsächlich zukunftsfähig zu machen“, ergänzt Roßnagel. Aber auch die Europäische Kommission solle sich an der Weiterentwicklung des Datenschutzrechts beteiligen, in dem sie bereichs- und technikspezifischen Datenschutz regele, wie etwa in der eCall-Verordnung geschehen und im Entwurf der ePrivacy-Verordnung vorgesehen.

Veranstaltungshinweis: Am Mittwoch, den 24. Januar 2018, 14:15 Uhr, wird die nationale Implementierung der EU-Datenschutz-Grundverordnung Thema eines vom Forschungsverbund „Forum Privatheit“ organisierten Panels im Rahmen der Konferenz Computers, Privacy and Data Protection (CPDP): The Internet of Bodies sein: http://www.cpdpconferences.org

Downloads:

Ansprechpartner/innen:

Prof. Dr. Alexander Roßnagel
Sprecher „Forum Privatheit“
Universität Kassel
Leiter des Fachgebiets Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Recht der Technik und des Umweltschutzes
Leiter der Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)
Wissenschaftliches Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG)
E-Mail: a.rossnagel@uni-kassel.de

Dr. Christian L. Geminn, Mag. iur.
Mitglied „Forum Privatheit“
Universität Kassel
Geschäftsführer der Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)
Wissenschaftliches Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG)
E-Mail: c.geminn@uni-kassel.de

Dr. Michael Friedewald
Projektkoordinator „Forum Privatheit“
Geschäftsfeldleiter Informations- und Kommunikationstechniken am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
E-Mail: michael.friedewald@isi.fraunhofer.de

Barbara Ferrarese, M.A.
Mitglied „Forum Privatheit“
Presse und Kommunikation „Forum Privatheit“
E-Mail: presse@forum-privatheit.de
Tel. +49 721 6809 – 678
https://www.forum-privatheit.de/forum-privatheit-de/index.php
Twitter: @ForumPrivatheit

 

Im vom BMBF geförderten Forum Privatheit setzen sich Expertinnen und Experten aus sieben wissenschaftlichen Institutionen interdisziplinär mit Fragestellungen zum Schutz der Privatheit auseinander. Das Projekt wird vom Fraunhofer ISI koordiniert. Weitere Partner sind das Fraunhofer SIT, die Universität Duisburg-Essen, das Wissenschaftliche Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein.